"Wo haben Sie Ihren Passierschein, Madame?" fragt mich ein
Polizist. Sein Französisch klingt verbindlich, sein Blick dagegen
ist streng und unnachgiebig. Natürlich habe ich meinen Passierschein
dabei, stecke ihn mir hastig an die Bluse und mache, dass ich davon
komme.
Das Europäische Parlament ist die einzige Institution der Europäischen
Union, die öffentlich tagt und berät. Das lasse ich mir als
Besucherin natürlich nicht entgehen. Wer weiß, wann ich einmal
wieder bei einer Arbeitsgruppen-, einer Plenarsitzung oder bei einem
Ausschuss zuhören kann? Die Vielfalt an Sitzungen ist anfangs schon
recht verwirrend für einen Außenstehenden. Jedenfalls: die
eigentliche Arbeit wird - ähnlich wie im Bundestag - in den Ausschüssen
getan, wo die Arbeit des Plenums vorbereitet wird. Dass in Brüssel
hart an der Zukunft der Europäischen Union gearbeitet wird, steht
außer Zweifel. Doch wenn der Verfassungskonvent sich drei Stunden
mit Nebensächlichkeiten aufhält, drängt sich schon die
Frage auf, ob solche Fragen wirklich wichtig sind.
Ein Abgeordneter verdient
enorm viel Geld, geht in der Früh mit seinen Partei-Spezln zum
Weißwurstessen, werkelt tagsüber ein bisschen herum und lässt
sich abends zum Essen einladen. Derartige Vorurteile gegenüber
EU-Abgeordneten und der EU im Allgemeinen haben mit der Realität
wenig gemeinsam. Der Arbeitstag von Alexander Radwan beispielsweise
beginnt spätestens um acht Uhr und endet meistens mit einem geschäftlichen
Abendessen, das sich bis weit in die Nacht ausdehnen kann. So interessant
die Arbeit eines Abgeordneten auch sein mag, die Rollen möchte
ich nicht tauschen. Bei einem so dicht gedrängten Terminkalender
und dem Hin und Her zwischen Brüssel, Straßburg und Wahlkreis
bleibt kaum Zeit für Familie und Freizeit. Nein, leid tun müssen
einem die Parlamentarier nicht. Doch es bedarf schon einer gehörigen
Energie, dieses Pensum auf Dauer durchzuhalten. Dabei ist ein EU-Abgeordneter
finanziell nicht wesentlich besser gestellt als ein Abgeordneter des
Deutschen Bundestags.
Einmal im Monat finden für eine Woche die Plenarsitzungen in Straßburg
statt. Das heißt im Klartext, dass mein Kollege und ich am Freitag
davor die große graue Umzugskiste packen. Sind alle wichtigen
Papiere mit dabei? Haben wir auch nichts vergessen? So spannend die
Plenarwoche für mich auch gewesen sein mag. Denjenigen, die sie
Monat für Monat mitmachen, ist sie eher ein lästiges Übel.
Ich glaube nicht, dass sich Straßburg - auch wenn das bisher bei
den Franzosen auf beherzte Gegenwehr stößt - auf lange Sicht
als EU-Sitz halten kann. Zu hoch sind einfach Kosten und Aufwand.
Wieso braucht die EU eigentlich so lange, bis sie endlich ein Gesetz
verabschiedet? Während meines Praktikums habe ich unter anderem
Kommissionsvorschläge zu einer Richtlinie über Kraft-Wärme-Kopplung
und deren erste Lesung, also die Stellungnahme des Parlaments, bearbeitet.
"Nicht schlecht" hebe ich gestaunt, weil zwischen beiden Texten
ein ganzes halbes Jahr liegt. Denke ich an unser Büro zurück,
ist das kein Wunder: Türme über Türme von Gesetzestexten
und Positionspapieren, die von zwei Mitarbeitern durchgeackert werden
müssen - manchmal auch nur von einem. Nicht zu vergessen die unzähligen
Bürgeranfragen, die sich von der Rundholz-Sortierung bis zu Steuerfragen
erstrecken. Bürger haben Fragen und wenden sich damit an "ihren"
Abgeordneten. Diese Anfragen werden natürlich beantwortet. Das
dauert aber schon seine Zeit, weil sich die Mitarbeiter erst in die
zum Teil "fachfremden" Themen einarbeiten müssen. Ein
bisschen Geduld ist also nötig, schließlich kocht das Europäische
Parlament auch nur mit Wasser!
Sandra
Nißl